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Das Vize-Duell vor der US-Wahl

Eine Fliege und etwas Normalität

  • Veröffentlicht: 08.10.2020
  • 11:59 Uhr
  • dpa
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© dpa

US-Vizepräsident Pence und die demokratische Vizekandidatin Harris treffen zu einem Zeitpunkt aufeinander, an dem das US-Wahljahr 2020 komplett aus den Fugen geraten zu sein scheint. Und plötzlich stellt sich so etwas wie Normalität ein. Für einen Moment.

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Die schwarze Fliege landet auf dem Silberhaar, als hätte sie ein Magnet angezogen. Plötzlich ist sie da - und fliegt auch erst mal nicht wieder weg. US-Vizepräsident Mike Pence sprach gerade von einer "großen Beleidigung" und macht eine rhetorische Pause. Von der Fliege scheint er keine Notiz zu nehmen - anders als zahlreiche Zuschauer und Kommentatoren der einzigen TV-Debatte zwischen Pence und der demokratischen Vize-Kandidatin Kamala Harris vor der US-Wahl am 3. November. Die Aufmerksamkeit für die Fliege zeugt davon, wie unaufgeregt das Duell am Mittwochabend war.

Dabei trafen Harris und Pence in Salt Lake City im US-Bundesstaat Utah zu einem Zeitpunkt aufeinander, an dem das Wahljahr 2020 komplett aus den Fugen geraten zu sein scheint. Wenige Stunden zuvor hatte US-Präsident Donald Trump im Garten des Weißen Hauses verkündet, durch "Gottes Segen" ein Heilmittel gegen das Coronavirus entdeckt zu haben, mit dem er sich zuvor infiziert hatte.

Nach Bekanntwerden seines positiven Tests am Freitag und dem kurzen Krankenhausaufenthalt ist die TV-Debatte zwischen Trump und seinem Herausforderer Joe Biden beinahe in Vergessenheit geraten, die vergangene Woche im Chaos versunken war. Die Kontrahenten sparten nicht mit Beleidigungen, Trump fiel Biden immer wieder ins Wort, Biden ab und zu auch Trump. Im Anschluss wurde die Darbietung als "beschämend" und "hässlich", als "Peinlichkeit für die Ewigkeit" bezeichnet.

Unterschied zur Debatte zwischen Trump und Biden

Als Harris und Pence am Mittwoch auf der Bühne saßen, kam die Erinnerung zurück. Die Ereignisse der vergangenen Tage haben die beiden entzweit: Wegen der Sorge vor weiteren Ansteckungen trennten sie ein mehr als 3,5 Meter großer Sicherheitsabstand und Plexiglasscheiben. Die beiden Politiker stritten, aber sie stießen nicht in einer Tour aneinander. Sie ließen einander ausreden - zumindest meist. "Am auffälligsten war einfach (...), wie normal sich das anfühlte. Es fühlte sich an wie eine normale traditionelle Debatte, trotz der sehr ungewöhnlichen Umstände", sagte die Reporterin von ABC News, Mary Bruce, im Anschluss.

Waren die Vize-Debatten in der Vergangenheit eher Nebenschauplatz auf der Zielgeraden zur Wahl, wurde der diesjährigen mehr Bedeutung denn je zugemessen. Der 77-jährige Biden und der 74 Jahre alte Amtsinhaber Trump sind die ältesten Präsidentschaftskandidaten der US-Geschichte. Seit klar ist, dass Biden für die Demokraten ins Rennen gegen Trump zieht, war die mögliche Machtübergabe an den Vizepräsidenten kein abwegiges Szenario mehr. Trumps Corona-Infektion hat klargemacht, dass dies für beide Seiten gilt.

Bidens Entscheidung, die frühere Staatsanwältin Kamala Harris zu seiner Vizekandidatin zu machen, bekam auch deshalb große Beachtung. Bidens Wahl wurde im August als "historisch" gefeiert: Die 55-Jährige könnte die erste Frau und erste Schwarze im Amt des Vizepräsidenten sein. Mit ihr ebnete Biden aber auch den Weg, dass es in nicht allzu ferner Zukunft eine erste Frau und erste Schwarze im obersten Amt des Staates geben könnte. Doch im stark heruntergefahrenen Wahlkampf ging Harris in den vergangenen Wochen geradezu unter. Die Politik-Webseite "The Hill" kommentierte: "Kamala Harris ist von einer historischen (...) Wahl zu einer unsichtbaren Vizekandidatin geworden."

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TV-Duell als wichtige Chance für Harris

Die Debatte war eine wichtige Chance für Harris, kurz vor der Wahl diesem Eindruck entgegenzuwirken. Statt Pence in ihr berüchtigtes Kreuzverhör zu nehmen, hielt sich die frühere Staatsanwältin penibel genau an die Spielregeln - wohl auch um Trumps Wahlkampfteam keine Angriffsfläche zu bieten. Wenn Pence redete, kommentierte sie seine Aussagen mal mit mitleidigem Lächeln, hochgezogener Augenbraue oder Kopfschütteln, statt ihm ins Wort zu fallen. Wenn er es tat, sagte sie: "Mr. Vizepräsident, jetzt rede ich."

Sie pochte auf mehr Redezeit, wenn Pence erneut in aller Seelenruhe weiterredete, obwohl Moderatorin Susan Page schon wieder das Wort ergriffen hatte. An einer Stelle sagte sie, sie lasse sich nicht von Pence belehren. Und Harris nutzte gleich den Beginn, um ihre entscheidende Botschaft zu senden: "Das amerikanische Volk ist Zeuge des größten Versagens einer Regierung in der Geschichte unseres Landes geworden", sagte sie mit Blick auf die Corona-Krise und den mehr als 210 000 Toten und mehr als 7,5 Millionen Infektionen.

Allerdings verpasste sie an anderen Stellen die Möglichkeit, ihrer Botschaft Nachdruck zu verleihen. Zum Beispiel, als Pence auf eine Veranstaltung im Rosengarten des Weißen Hauses angesprochen wurde, die sich als Superspreader-Event entpuppte und bei der die Regierung Corona-Richtlinien der Gesundheitsbehörde in aller Öffentlichkeit missachtete.

Pence für seinen Teil ignorierte mehrfach die Fragen der Moderatorin und platzierte stattdessen die Botschaften, die er anbringen wollte. Bei einer Frage nach der Position zu Abtreibungen redete er zunächst einmal weiter darüber, wie die Trump-Regierung Irans Top-General Ghassem Soleimani mit einem Raketenangriff getötet hatte.

Pence verteidigte Trumps Regierung in der Debatte nicht nur, er machte auch deutlich, dass es mit ihm dieselbe Politik gäbe - nur ohne die ganze Aufregung. Der 61-Jährige ist Trump gegenüber absolut loyal, steht vom Wesen her aber im starken Kontrast zu seinem Chef. Er ist unscheinbar, ruhig, kontrolliert. Er ist tief religiös und ein knallharter Konservativer.

"Die Möglichkeit, dass einer dieser beiden Menschen, der siegreiche Vizepräsident, in den kommenden vier Jahren Präsident werden könnte, ist sicherlich größer geworden", sagte der Moderator der letzten TV-Debatte, der Journalist Chris Wallace, am Mittwoch. Er sei sich dennoch nicht sicher, ob die Debatte am Ende im Wahlkampf einen großen Unterschied machen würde. Außer, es passiere etwas sehr dramatisches. So kam es ausnahmsweise nicht. Daran änderte auch die Fliege nichts.

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