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Weihnachtsrisiko

Das große Weihnachtsrisiko

  • Veröffentlicht: 26.11.2020
  • 15:30 Uhr
  • dpa
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© dpa

Trotz Corona darf zu Weihnachten die liebe Verwandtschaft besucht werden - die Politik hat grünes Licht gegeben. Familien machen sich zu Heiligabend auf die Reise, Omi und Opi spielen mit den Enkeln. Droht uns danach der Corona-Kollaps?

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Wenn Stefan Mathias Fuchs an Weihnachten denkt, ist er skeptisch. "Wir könnten ein normales Fest feiern, wenn alle diszipliniert wären", sagt der Allgemeinmediziner, der in Karlsruhe eine Corona-Schwerpunktpraxis betreibt. Nur: So ganz glaubt er nicht daran. Als soziale Wesen wollten Menschen feiern, das sei verständlich, sagt Fuchs. "Wenn jetzt irgendwo ein Ventil geöffnet wird, wird erstmal nachgeholt, was acht Wochen unterdrückt wurde."
Am Mittwoch haben Bund und Länder festgelegt, was offiziell erlaubt sein wird: Im engsten Familien- und Freundeskreis darf vom 23. Dezember bis zum 1. Januar mit maximal zehn Menschen gefeiert werden, Kinder bis 14 Jahre nicht eingerechnet. Schleswig-Holstein hat eigene Regeln.

Wichtige Kontaktrate

Wie sich solche Lockerungen auf den Verlauf der Pandemie auswirken, haben Mitarbeiter des Forschungszentrums Jülich und des Frankfurt Institutes for Advanced Studies in Modellrechnungenen simuliert.
Im besten Fall bliebe die Kontaktrate - also wieviele Menschen jemand in einem bestimmten Zeitraum trifft - über Weihnachten konstant, weil zum Beispiel wegfallende Kontakte im Arbeitsleben oder in Schulen einen geringen Anstieg durch Familienbesuche ausgleichen. Die Forscher nehmen an, dass die Fallzahlen durch die geltenden Beschränkungen zunächst sinken. Für den Fall, dass fast alle Maßnahmen nach dem 20. Dezember aufgehoben werden, würden die Zahlen im Januar ein Niveau wie Ende Oktober erreichen - das heißt im Schnitt etwa 20 000 Neuinfektionen täglich.
Für den "Worst Case" haben die Wissenschaftler eine Zunahme dieser Kontaktrate um 50 Prozent angenommen. Dann würden die Zahlen im Januar die Marke von täglich 25 000 Neuinfektionen reißen. Die Forscher sprechen von einem "Weihnachtseffekt", einem Anstieg wie es ihn beispielsweise durch Reiserückkehrer in den Sommerferien gab.

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Starke Verteilung der Infektion

Doch damit nicht genug: "Die Ausweitung der Kontakte durch Besuche von Familien und Bekannten, womöglich über das ganze Land hinweg, könnten zu einer verstärkten geografischen Verteilung der Infektion führen", schreiben sie. "Damit wären auch Regionen mit niedriger Inzidenz wieder verstärkt exponiert, was dann auch insgesamt zu einem stärkeren Anstieg der Neuinfektionen führen würde."
Viola Priesemann vom Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation sagt: "Die Feiertage sind wirklich eine Herausforderung." Neben Reisen durch die halbe Republik träfen zu Weihnachten und Silvester unterschiedliche Gruppen - einmal Familien- und einmal Freundeskreise aufeinander. Hier entstünden Verbindungen. "Das öffnet den Viren ganz neue Wege, die sie sonst nicht hätten." Zudem mischen sich an Weihnachten vermehrt jüngere Menschen mit älteren, die anfälliger für einen schweren Krankheitsverlauf sind.
Um das Risiko einer Corona-Infektion zu den Festen zu senken, müsse die Ausbreitung der Pandemie zuvor deutlich stärker eingedämmt werden, mahnte Priesemann an. Im Moment reichten die Testkapazitäten nicht aus, weshalb nur bestimmte Gruppen getestet würden. Damit steige die Dunkelziffer: Einer Modellrechnung zufolge sind derzeit bis zu zweimal so viele Infektionen unentdeckt wie bekannt.

Sehr ernste Lage

Wie ernst die Lage jetzt schon im Gesundheitssystem ist, machen Vertreter von Ärzteschaft und Kliniken deutlich. Der Präsident der Deutsche Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, sagt: "Wir werden im Laufe des Dezember voraussichtlich 5000 bis 6000 Intensivpatienten haben, die Situation ist angespannt, aber noch beherrschbar." Momentan liegen knapp 4000 Corona-Patienten auf der Intensivstation.
Susanne Johna, 1. Vorsitzende des Marburger Bundes, verweist auf das Personal insbesondere in den Notaufnahmen sowie auf den Intensiv- und Infektionsstationen, das seit Wochen massiv belastet sei. "Die Notbremse hat gewirkt, das exponentielle Wachstum ist vorerst gebrochen. Das kann aber kein Ruhepolster sein." Beide begrüßen daher, dass die Beschränkungen im Teil-Lockdown fortgeführt werden.
Für Weihnachten appellieren sie an die Vernunft der Bürger. "Ich glaube auch, dass die Menschen so verantwortungsvoll handeln, dass die Feiertage nicht völlig unkontrolliert verlaufen und damit all das, was wir durch den Lockdown erreicht haben, wieder konterkarieren", sagt Krankenhaus-Vertreter Gaß.
Wie brenzlig die Lage um die Feiertage herum werden könnte - ob mit oder ohne "Weihnachtseffekt" im Pandemieverlauf -, macht der Karlsruher Hausarzt Fuchs deutlich: Der ärztliche Bereitschaftsdienst sei in dieser Zeit eh schon "heillos überlaufen", sagt Fuchs und betont: "Ein Kollege vertritt neun andere."
Trotzdem hat er sich fest vorgenommen, auch seine Praxis über Weihnachten zu schließen. Er wolle sich und seinen Mitarbeitern die paar Tage zur Erholung gönnen. Seit Beginn der Pandemie seien sie im Einsatz, hätten alles gegeben. "Irgendwann sind die Kräfte weg."

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