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Laut Premierministerin May

Brexit: Großbritannien verlässt auch EU-Binnenmarkt

  • Veröffentlicht: 17.01.2017
  • 21:36 Uhr
  • dpa
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Die Rede von Theresa May fing zahm an - dann der Paukenschlag: Großbritannien verlässt den europäischen Binnenmarkt. Die Regierungschefin schickte Drohungen und Schmeicheleien nach Brüssel.

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Großbritannien wird nicht nur die EU, sondern auch den europäischen Binnenmarkt verlassen. "Wir streben keine Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt an", sagte May bei einer lange erwarteten Grundsatzrede zum Brexit am Dienstag in London. Ihr Land sei dann nicht mehr verpflichtet, "enorme Summen zum EU-Haushalt" beizutragen.

Sie wolle stattdessen einen umfassenden Freihandelsvertrag mit der Europäischen Union schließen. Auch der Zollunion in ihrer bisherigen Form wird das Vereinigte Königreich nicht mehr angehören.

Die Premierministerin stellte klar: eine Teilmitgliedschaft in der EU oder "irgendwas, das uns halb drinnen, halb draußen lässt", komme nicht infrage. "Wir streben nicht danach, an Häppchen der Mitgliedschaft festzuhalten, wenn wir gehen."

May: Wollen nationale Kontrolle bei Einwanderung

Die Reaktionen in Berlin und Brüssel waren eher negativ. Die EU sei für die Austrittsverhandlungen gerüstet, twitterte Ratspräsident Donald Tusk. Er sprach von einem "traurigen Vorgang in surrealistischen Zeiten". Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) sagte: "Rosinen picken wird es nicht geben." Wer am EU-Binnenmarkt teilhaben wolle, müsse Teil der Gemeinschaft sein.

May präsentierte einen Zwölf-Punkte-Plan, der eine harte Linie bei der Einwanderung von EU-Bürgern vorsieht. Sie sollen nicht mehr ohne weiteres in Großbritannien leben und arbeiten dürfen. Die Zahl der Einwanderer müsse reduziert werden, sagte May. Sie überforderten Schulen, Infrastruktur, Wohnungsmarkt und drückten die Löhne.

May kündigte an, das Parlament in London über einen abschließenden Brexit-Deal abstimmen zu lassen. Das finale Abkommen "wird beiden Häusern des Parlaments zur Abstimmung vorgelegt, bevor es in Kraft tritt", sagte May. Mit einem solchen Abkommen ist frühestens im Frühjahr 2019 zu rechnen, nach einer zweijährigen Verhandlungsphase.

London mit niedrigen Steuersätzen Unternehmen anlocken

Die Premierministerin warnte die EU davor, ihr Land zu bestrafen. Sie bezog sich damit auf Spekulationen, die verbliebenen 27 Mitglieder der Gemeinschaft könnten bei den Austrittsverhandlungen einen harten Kurs gegenüber Großbritannien einschlagen. Ein "bestrafender Brexit-Deal" wäre ein "katastrophaler Akt der Selbstverletzung".

Gleichzeitig deutete sie an, Großbritannien könne eine Veränderung des Wirtschaftsmodells in Betracht ziehen. Sie befeuerte damit Befürchtungen, das Land könne durch eine Absenkung der Körperschaftssteuer zum Steuerparadies werden. "Wir hätten die Freiheit, wettbewerbsfähige Steuersätze festzulegen und Strategien zu wählen, um die besten Unternehmen und größten Investoren nach Großbritannien zu locken", sagte die Premierministerin.

May warb gleichzeitig für enge Beziehungen mit der EU. Das Votum der Briten, die Europäische Union zu verlassen, sei keine Ablehnung der gemeinsamen Werte. London werde weiterhin ein verlässlicher Partner, Verbündeter und enger Freund sein. "Wir wollen eure Waren kaufen und euch unsere verkaufen und mit euch so frei wie möglich handeln."

Droht der EU der Zusammenbruch?

EU-Chefunterhändler Michel Barnier wies May darauf hin, dass es nur dann eine enge Partnerschaft geben könne, wenn sich beide Seiten zuvor auf einen geordneten Brexit verständigt hätten. "Meine Priorität ist es, den richtigen Deal für die 27er-EU auszuhandeln", schrieb der Franzose über den Kurznachrichtendienst Twitter.

Der europäische Grünen-Chef Reinhard Bütikofer erwartet schwere Konflikte zwischen Brüssel und London. "Mit dem Zuckerguss freundlicher Worte, um die sie sich bemühte, kann Frau May nicht verdecken, dass sie eine radikale Politik verfolgt." Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) möchte konstruktive Verhandlungen.

Auch Warnungen vor einem zerbröckelnden EU-Zusammenhalt wurden laut. Mit Blick auf Populismus und Abschottung warnte der scheidende US-Außenminister John Kerry, die aktuellen Entwicklungen seien sehr riskant. "Sie ermutigen Menschen, die Europa geteilt sehen wollen", sagte er beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Kerry nannte aber nicht die Brexit-Entscheidung beim Namen. Der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen sagte in Straßburg: "Der harte Brexit in Kombination mit einem unberechenbaren Donald Trump wird in diesem Jahr 2017 ein Lackmustest und Härtetest für den Zusammenhalt in der EU."

Enger Zeitplan

Der CDU-Europapolitiker David McAllister hält einen zügigen Brexit für möglich. "Das ist ambitioniert, aber das kann man in zwei Jahren unter Dach und Fach bringen", sagte der Europaabgeordnete der Deutschen Presse-Agentur. Für das neue Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien werde es dann wohl Übergangsregeln geben müssen.

Das zuletzt schwer angeschlagene Pfund erholte sich während und nach der Grundsatzrede. Es legte um rund zwei Prozent bis auf 1,2390 US-Dollar zu. Damit wurden Verluste im Vorfeld mehr als wettgemacht.

Noch im Januar steht eine weitere wichtige Brexit-Entscheidung an. Das höchste britische Gericht muss klären, ob das Parlament seine Zustimmung geben muss, bevor die Regierung den EU-Austritt förmlich bekannt gibt. May will die Scheidung von der EU bis Ende März in Brüssel einreichen. Sollten die Parlamentarier mitbestimmen dürfen, könnte das den Zeitplan durcheinanderbringen. Ein genauer Termin für das Gerichtsurteil steht noch nicht fest.

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